Bezirk: Lienz Bezirk: Innsbruck-Land Bezirk: Schwaz Bezirk: Imst Bezirk: Landeck Bezirk: Reutte Bezirk: Kitzbühel Bezirk: Kufstein Bezirk: Innsbruck

Bichlerhof in Matrei in Osttirol – Gescheiterte Sanierung eines Bergbauernhofes im Nationalpark Hohe Tauern  (1723)

Der in 1.388 Metern Seehöhe über dem Tauerntal gelegene Bichlerhof am Stein bei Matrei/Osttirol zählte bis vor kurzer Zeit zu den eindrucksvollsten Zeugnissen bäuerlicher Geschichte im Alpenraum. Die denkmalgeschützte Anlage umfasst mehrere Gebäude, deren historische Wurzeln bis in die Zeit um 1450 zurückreichen.

Trotzdem verfällt der Bestand, weil es innerhalb von 30 Jahren nicht gelungen ist, eine Nutzung für das Hofensemble zu finden. Zeit und Witterung haben den Gebäuden derart zugesetzt, dass eine Erhaltung nicht mehr möglich ist. Jahrelange Bemühungen des Bundesdenkmalamtes führten zu keiner Lösung und daher wurde der Bichlerhof laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zum Rückbau freigegeben. Das heißt, dass zumindest die noch vorhandenen, verwertbaren Teile (wie z.B. Stube, Dachdeckung) erhalten und als Materialien bei der Instandsetzung anderer Kulturgüter verwendet werden können. – Das Verschwinden des weithin sichtbaren Hofes ist dennoch besiegelt!

Die Ursprünge des Bichlerhofes gehen auf die Gründung so genannter Schwaighöfe im Mittelalter zurück. Diese wurden im 12./13. Jahrhundert in höheren Lagen nahe den saftigen Bergwiesen und Almen errichtet, weil sie hauptsächlich zur Viehzucht genutzt wurden. An ihnen lässt sich nachvollziehen, unter welchen extremen Bedingungen die bäuerliche Bevölkerung Tirols über Jahrhunderte gewirtschaftet und gewohnt hat. Doch der exponierte Bauplatz und die bauliche Zusammensetzung des Bichlerhofes spiegeln nicht nur das harte Leben der Bergbauern wider, sie sind auch ein Sinnbild für das autonome Wirtschaftsgefüge der bäuerlichen Großfamilie von einst. Der Bichlerhof ist eine Paarhofanlage mit Kornspeicher und einer nahe gelegenen Mühle.

Die historische Bedeutung des Bichlerhofes als Schwaighof liegt darin, dass er in einer Urkunde von 1437 als „die erste swaig“ auf der Felsschulter namens Stein bezeichnet wird. Bald nach dieser Nennung konnten noch drei weitere Schwaighöfe hoch über dem Tauerntal nachgewiesen werden. Auch gehört der Bichlerhof zu den wenigen Schwaighöfen, denen ein „ewiges“ Erbrecht verliehen wurde. Das ging mit der Verpflichtung einher, den Hof ganzjährig zu bewohnen.

Als massiver Holzbau besitzt der Bichlerhof einzigartige bauhistorische Bedeutung: Er wurde in mehreren Bau- und Umbauphasen errichtet, wobei die wesentlichen Teile der Holzkonstruktion aus der Barockzeit stammen: Das zweigeschossige Wohnhaus ist ein Kantholz-Blockbau mit geschindeltem Satteldach. Im Unterschied zu den gängigen Blockbauten besteht sogar sein Untergeschoss aus Holz, zur Stabilisierung wurde es aber außen mit Bruchsteinen verkleidet. An einer Firstpfette ist die Jahreszahl 1723 eingekerbt.

Beim Wohnhaus handelt es sich um den Bautyp eines Mittelflurhauses. Es besitzt einen zentralen Gang, von dem aus Stube, Küche und Kammern erreichbar sind. Vom Flur führt auch eine steile Treppe in den darunter liegenden Keller. Manche der Treppenabsätze sind in den natürlichen Fels gehauen. Die holzgetäfelte Stube (19. Jahrhundert) wurde mit einem gemauerten Ofen ausgestattet. Ihr gegenüber liegt die mit schweren Steinplatten ausgelegte Rauchküche. Ursprünglich befand sich hier nicht nur die gemauerte offene Herdstelle, sondern auch ein Backofen, der an das Wohnhaus angebaut war und von der Küche aus beschickt werden konnte.

Das lang gestreckte Wirtschaftsgebäude schließt im rechten Winkel an das Wohnhaus an und ist in zwei Bauphasen entstanden. Der ältere, hangseitige Teil, mit Dendrodatierung 1689/90, wurde talwärts in den Jahren zwischen 1718 (Dendrodatierung) und 1721 (Bauinschrift) erweitert.

Das Wirtschaftsgebäude, der Kornspeicher und die Mühle sind genauso wie das Wohnhaus aus Kanthölzern gezimmert und mit Schindeln eingedeckt. Aufgrund der Hangneigung ist der frei stehende Kornspeicher talseitig auf Pfosten gesetzt worden. Hier verweist eine Datierung am Türsturz auf das Jahr 1764. Die Getreidemühle liegt abseits des geschlossenen Hofensembles. Ihr sogar noch bis 1965 in Verwendung stehender Mahlgang (vermutlich 19. Jahrhundert) wurde über ein oberschlächtiges Wasserrad angetrieben.

Der Verlust des Bichlerhofes zeichnet exemplarisch ein ernüchterndes Bild über das allmähliche Verschwinden der bäuerlich-anonymen Architektur. Wie eine 2023 für den Dauersiedlungsraum fertiggestellte Studie des Tiroler Kunstkatasters zeigt, prägten vor kaum dreißig Jahren im Durchschnitt in jeder Gemeinde Tirols noch drei historische Bau-Ensembles ihre umgebende Landschaft, heute befindet sich nur mehr in jeder dritten Gemeinde ein einziges. Das heißt, von ca. 630 landschaftsbestimmenden bäuerlichen Ensembles sind nach etwa drei Jahrzehnten heute lediglich rund 90 im Bundesland Tirol in ihrer ursprünglichen Form erhalten.

Tipp: Längenfelder Erklärung zum Erhalt des alpinen Baukulturerbes