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Truhenschrank – Kunsttischlerei für den Adel (um 1560/1570)

Ein Merkmal des Tiroler Kunsthandwerks im 16. Jahrhundert ist, dass sich gotisches Formengut mit dem Repertoire der Renaissance vermischte. Diese enge Verbindung von Tradition und Innovation kann am Beispiel eines Truhenschranks aus der Zeit um 1560/1570 aufgezeigt werden: Seine Gestaltgebung verweist in die Gotik, wohingegen sein Renaissancedekor mit Intarsien (= Einlegearbeiten) und Schnitzereien dem entspricht, was am Impuls gebenden Hof in Innsbruck modern war.

Bereits im 15. Jahrhundert nahm Tirol eine Sonderstellung in Bezug auf Holzbau- und Tischlerkunst ein, die im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts nichts an Gültigkeit einbüßte. Das ist auf den Wohlstand infolge des Bergbaus ebenso zurückzuführen wie auf den Zuzug auswärtiger Kunsthandwerker. Manche der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandenen Tischlerarbeiten weisen feinteilige Intarsien auf, die auf den Einfluss zweier wichtiger Bauvorhaben im Land verweisen: den Fürstenchor der Hofkirche in Innsbruck (1566/1567) sowie Decke und Türen des Spanischen Saales von Schloss Ambras (1572). Beide Projekte sind mit den Namen der aus Süddeutschland stammenden Kunsttischler Hans Waldner und Konrad Gottlieb verknüpft.

Die führende Stellung Tirols auf dem Gebiet der Kunsttischlerei zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert lässt sich an der relativ großen Zahl noch erhaltener Beispiele belegen. In diesem Zusammenhang sind die einheitlichen Raumausstattungen in den Burgen und Schlössern nördlich und südlich des Brenners besonders hervorzuheben.

Der vermutlich im Umkreis von Hans Waldner (seit 1562 in Innsbruck ansässig) entstandene Truhenschrank ist zweigeschossig und wurde an seinen Seiten mit je zwei übereinander angeordneten Haltegriffen ausgestattet. Der Aufbau in Form von scheinbar übereinander gestapelten Truhen und die seitlichen Griffe führten zur Bezeichnung „Truhenschrank“ für dieses Möbel: Es ruht auf vier Kugelfüßen, über denen je eine profilierte Sockelleiste zum unteren Teil des Schranks und eine weitere zum oberen Teil führt bzw. eine dritte das Gesims bildet. Die beiden Schranktüren sind mit besonders feinen Intarsien verziert. Die seitlichen Abschlüsse der „Schrankfassade“ bilden je zwei senkrecht verlaufende, geschnitzte Ornamentbänder mit Diamantquadern und aus Vasen entspringenden Ranken- und Knospenmotiven. Zu den Besonderheiten des Schrankes zählen auch seine Maserungen an den Seitenflächen, die nicht vom natürlichen Erscheinungsbild des Holzes herrühren, sondern aufgemalt wurden.

Der Truhenschrank ist aufgrund der feinen Holzeinlegearbeiten an den Türen gut datierbar, denn die hier abgebildeten Ruinenlandschaften lassen sich in Tirol in ähnlicher Form auch an anderen Stellen nachweisen, z.B. an 1558 entstandenen Renaissancetüren im Raum Hall in Tirol. Die hohe Qualität der Einlegearbeiten zeigt sich in der Anwendung der Zentralperspektive bei der Darstellung von Gebäuden oder Bauteilen von Ruinen und folglich in der Dreidimensionalität der Wiedergabe von Details, z.B. Gesimsen. Nicht zuletzt zeugt aber auch die Feingliedrigkeit der Zusammensetzung einzelner Elemente – wie z.B. der Pflanzen – von der hohen Kunstfertigkeit der an diesem Stück beteiligten Tischler.

Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass solche Stücke nicht im Mittelpunkt von bäuerlichen Stuben, sondern in „fürstlich“ ausgestatteten und in den meisten Fällen ebenso kunstvoll getäfelten Wohnräumen in Tiroler Burgen und Schlössern aufgestellt wurden.