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Tankstelle in Prutz – Tankstelle an einer historischen Transitroute (2002)

An eine Tankstelle als Bauobjekt werden selten höhere Ansprüche gestellt. Das erstaunt, weil das Kultobjekt Auto geradezu nach einem architektonisch gestalteten „Kultbau“ verlangt. Nahe Prutz realisierte Architekt Martin Kinzner an einer viel befahrenen Durchzugsstraße eine Tankstelle, bei der alle Serviceeinheiten unter einem Dach vereint sind.

Prutz liegt in der Nähe von Landeck an der römischen Via Claudia Augusta, die von Meran über den Reschenpass nach Augsburg verlief. Heute ist die Region vor allem durch den Wintersport bekannt. Das Verkehrsaufkommen ist nach wie vor hoch, weshalb die Tankstelle gerade hier platziert wurde. Der bauliche Eingriff stört aber die Landschaft nicht. In der Talsohle um Prutz werden noch traditionelle Methoden der landwirtschaftlichen Bearbeitung gepflegt und man versteht den Anspruch des Architekten auf Umweltverträglichkeit auf Anhieb: Sein Gebäude wirkt leicht und ist dem Verlauf der Straße in Nord-Südrichtung angepasst, damit es optisch keine Talsperre bildet. Alle Serviceeinheiten wurden an der von der Straße abgewandten Seite in „Häuschen“ verteilt. Das entzerrt das Volumen der Baumasse, da Teile davon quasi unsichtbar sind.

Die Trendwende des Autos vom „Herrensportgerät“ zum Gebrauchsgegenstand setzte um 1920 ein. In diese Zeit fällt auch die Entstehung der Bauaufgabe Tank-Stelle, denn sie löste den Vertrieb von Blechkanistern ab, mit denen man den Wagen zu Hause füllte. Nur Wohlhabende besaßen private Zapfsäulen. Die ersten Tankstellen bestanden meist aus Backsteinhäuschen, ähnlich einem Pförtnerhaus, und einer übermannshohen Zapfanlage, die manuell zu bedienen war. Der Treibstoff wurde händisch in hoch liegende Zwischentanks gepumpt und von dort in die Autos umgefüllt. Die freie Überdachung, die heutige Tankstellen prägt, fehlte in dieser Zeit noch ganz. Denn der Kunde von damals hatte in der Regel noch einen Chauffeur, der durchaus in den Regen geschickt wurde, wenn bei Schlechtwetter ein Tanken oder Prüfen des Reifendrucks notwendig war.

Der Tankstellenbau änderte sich um 1930 in der Ära, in der das Auto Massenprodukt wurde. Interessanterweise zeigt die Entwicklung der Bauaufgabe auf, dass das frei schwebende Dach ausdrücklich schon in dieser Zeit als „Werbe-Agent“ diente und nicht erst in der Nachkriegs-Konsumkultur. Denn wer wollte nicht vor Wettereinflüssen geschützt sein Auto betanken? Also lockte man die Menschen zu den schönen Tankstellen mit den großen Dächern. Die Idee dazu kam aus Amerika. Unvergesslich sind die Beispiele in der Architekturgeschichte mit ihrer Stromlinienästhetik oder ihren ungewöhnlichen Dachkonstruktionen, wie z.B. die Tankstelle mit der „ovalen Zunge“ von Arne Jacobsen im dänischen Skovshoved Havn in Charlottenlund, die seit 1937 in Betrieb ist und heute wie alle noch erhaltenen Tankstellen dieser „Generation“ unter Denkmalschutz steht.

Die Tankstelle von Martin Kinzner bei Prutz folgt der seit den 1930er-Jahren bestehenden architektonischen Leitidee: Sie besteht im Wesentlichen aus einer mehr als 1.000 m2 großen Dachfläche in den Maßen 17 x 78 m, die leicht geneigt (1,7%) ist. Auf der Basis dieses geometrischen Kunstgriffs wirken die Ausmaße des Baues von Süden aus optisch verkürzt. Auch ist das Dach an dieser Seite wie eine den darunter liegenden Pavillon schützende Schürze heruntergezogen. Bei jedem Regenguss wird das am Dach gesammelte Wasser über ausgeklügelt konstruierte Kastenrinnen hierher abgeführt, um an dieser Fassade fünf Wasserfälle zu bilden.

Das Niveau der Betankungsfläche liegt 5 cm tiefer als der Boden. In der nach allen Seiten offenen Struktur wird so deutlich, wo innen und außen ist. Über ihr ruht in einer Höhe von 6 bis 7 Metern und auf 16 Verbundstützen gelagert, das große Dach. Es besteht aus einer Spannbetondecke mit Zuggliedern in beiden Richtungen, wodurch seine geringe Stärke von nur 26,5 cm zustande kommt. Wie ein schwebender „Himmel“ überspannt es auch den Pavillon, der Kasse, Laden und Restaurant enthält. Am Pavillon wiederholt sich die Grundidee des Daches. Er besteht nur aus Stützen, Decke und vorgehängter Glasfassade. Sein nach innen abgetreppter Plafond schafft die Illusion, er sei ebenfalls offen. Vor allem in Hinsicht auf eine Anpassung der Anlage an ihre Umgebung im Winter dominiert die Farbe Weiß. Das Beleuchtungskonzept der Tankstelle lieferte das bekannte „Bartenbach LichtLabor“ aus Aldrans bei Innsbruck. Über den Zapfsäulen und am Dach des Pavillons sind Strahler angebracht, deren Licht von Spiegeln an der Decke bzw. an der Innenseite der Dachschürze reflektiert wird. Die blendfreie Ausleuchtung des Areals, unterstützt durch die feine rote Linie einer Leuchtstoffröhre, sorgt für die Präsenz des Ortes bei Nacht.

Das architektonische Konzept der Tankstelle Prutz weicht nicht vom Programm der klassischen Vorläufer mit ihren weit auskragenden Dächern ab. Sie ist eher als eine Fortführung der Grundidee einer alle Versorgungseinheiten überspannenden Dachhaut zu betrachten, unterscheidet sich aber von der kommerziellen Tankstellen-Architektur durch ihren umweltschonend-dezent gehaltenen werblichen Auftritt.