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Neujahrsentschuldigungskarten – frühe Form der Sozialversicherung (ab 1830)

Die Neujahrsentschuldigungskarte ist eine österreichische Erfindung. Ihre Entwicklung entstand aus dem Brauch, jedem Verwandten oder Bekannten persönlich Glückwünsche für das neue Jahr zu überbringen. Ab ca. 1820 konnte man sich von dieser oft als lästig empfundenen Pflicht loskaufen, indem man eine Neujahrsentschuldigungskarte erwarb. Der Käufer einer Karte wurde in eine Liste von Spendern aufgenommen, die dann in der Zeitung veröffentlicht wurde. Diese Sitte diente dem Zweck, die Armenfonds aufzubessern. Zum Jahreswechsel 1819/1820 wurde die erste Neujahrsentschuldigungskarte in Tirol für Innsbruck aufgelegt. Bald folgten sämtliche Städte und Märkte in Nord- und Südtirol, u.a. wurden die ersten derartigen Drucke für Schwaz 1830 herausgegeben. Die ungewöhnliche Bezeichnung „Neujahrsentschuldigungskarte“ rührt daher, dass man durch ihren Erwerb der Pflicht enthoben – „entschuldigt“ – war, Gratulationsbesuche vornehmen zu müssen. Nicht selten hefteten die Käufer ihre Karten auch an ihre Haustüren, um vorbeikommenden Bettlern zu vermitteln, dass man hier bereits gespendet hatte.

Neujahrsentschuldigungskarten werden deshalb geschätzt, weil sie häufig für die Darstellung von Stadtansichten herangezogen wurden, was heute für die Rekonstruktion der baulichen Entwicklung von Gemeinden bzw. einzelner Gebäude von Wert ist. In diesem Zusammenhang ist auch ihre Technik wichtig, denn sie wurden in Form von Lithografien umgesetzt, die bei der Wiedergabe von Bildern beinahe fotografische Detailtreue erreichten.

Ursache für die Entstehung von Neujahrsentschuldigungskarten um 1820 war die überall im Land grassierende Not. Denn nach den napoleonischen Befreiungskriegen und der Ära der bayerischen Regierung (1796-1814) gab es viele Arme. In derselben Zeit bildete sich auch der Arbeiterstand heraus, für den noch jedes Schutzgesetz fehlte. Das hatte zur Folge, dass es überall im Land Bettler gab, die gerade zum Jahreswechsel Privathäuser und Ämter belagerten, um auf ihre drückende Situation aufmerksam zu machen und um Unterstützung zu bitten. Daher können Neujahrsentschuldigungskarten als Beitrag im Prozess der Institutionalisierung der Armenversorgung bzw. Sozialversicherung angesehen werden.

Unter den ersten Motiven der Neujahrsentschuldigungskarten fanden sich Darstellungen, die mit religiöser Mildtätigkeit in Zusammenhang standen. Bald wurde es aber immer beliebter, Stadtansichten oder Bauvorhaben zu verewigen. Unter den Neujahrsentschuldigungskarten, die für Schwaz gedruckt wurden, sind vor allem jene zu nennen, auf denen kommunale Bauprojekte abgebildet wurden. Z.B. ist auf der Neujahrsentschuldigungskarte von 1893 die neu errichtete Hans-Sachs-Schule mit ihren Grundrissen und auf der von 1894 die ebenfalls neue Landesschützenkaserne (heute Gymnasium Paulinum) festgehalten. Auf der Neujahrsentschuldigungskarte von 1895 wurde – in optisch besonders ansprechender Form mit der Siegesgöttin Viktoria und dem Wappen des Kaiserhauses – die Innenstadt von Schwaz mit der neuen Tabakfabrik wiedergegeben. Diese Neujahrsentschuldigungskarte entstand vor dem Hintergrund, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Schwazer infolge des Niedergangs des Bergbaus und des damit einhergehenden Arbeitsplatzmangels verarmt waren. Mit Unterstützung von Kaiser Franz Joseph I. (1830-1916) wurden die Erzeugung von Tabakwaren und der Bau des späteren Schwazer Traditionsunternehmens initiiert. Einen weiteren wichtigen Platz in der Geschichte von Schwaz nimmt die Neujahrsentschuldigungskarte von 1911 ein. Diese Karte ziert der neu erbaute Glockenturm von Schwaz. Sie dürfte schon im damals neuen Offsetdruckverfahren produziert worden sein.

Die Geschichte der Neujahrsentschuldigungskarten steht in enger Beziehung zur Entwicklung der Ende des 18. Jahrhunderts erfundenen Lithografie. Daneben erlaubte das später aus dieser Drucktechnik hervorgegangene Offsetverfahren die Produktion hoher Auflagen und die Wiedergabe von (farbigen) Bildern. Daher erstaunt es nicht, dass beide Drucktechniken schnell für die Herstellung von Werbe- und Propagandamitteln sowie für Neujahrsentschuldigungskarten eingesetzt wurden.