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Gnadenstuhl – Dreifaltigkeits-Darstellungen in Osttirol (ab 1452)

Andachtsbilder dienen dazu, das Gemüt des Betrachters anzuregen und ihn in seinem Glauben und seinem Gebet zu unterstützen. Doch auch die meditativ oder anschaulich gestalteten Gemälde und Skulpturen unterlagen im Verlauf der Jahrhunderte ikonografischen Veränderungen, was sowohl auf gesellschaftspolitische als auch theologische Ursachen zurückgeführt werden kann.

Gnadenstuhl- oder Dreifaltigkeits-Darstellungen sind seit dem 12. Jahrhundert bekannt. Dabei handelt es sich um Abbildungen, auf denen Gottvater, auf dem Himmelsthron sitzend, seinen für die Menschen verstorbenen Sohn präsentiert. Auf vielen Wiedergaben sind auch der Heilige Geist und Engel zu sehen. Auf einer Sonderform des Gnadenstuhls wird Gottvater mit dem Kruzifix festgehalten. Seltener und meistens später entstanden sind jene Darstellungen, auf denen Gottvater den Leichnam Christi der Welt zeigt. Bei den älteren Abbildungen geht es um eine Darstellung des christlichen Erlösungsgedankens, wohingegen der Leichnam Christi auf den jüngeren Wiedergaben vor allem das Mitgefühl des Gläubigen hervorrufen soll.

Eine der schönsten Gnadenstuhl-Darstellungen Osttirols befindet sich in der Apsiskalotte der Kapelle von Schloss Bruck in Lienz. Der Sakralraum entstand im späten 13. Jahrhundert im Auftrag der Grafen von Görz und verfügt über zwei Ebenen, die jeweils mit Altären ausgestattet waren. Der reiche Freskenschmuck stammt von verschiedenen Künstlern. Die ältesten Wandmalereien entstanden in der Errichtungsperiode der Palastkapelle (Reste von vier Heiligen), 1452 die des Lienzer Künstlers Nikolaus Kentner d.Ä. und gegen Ende des 15. Jahrhunderts die viel beachteten Fresken von Simon von Taisten.

Nikolaus Kentner gestaltete die Gnadenstuhl-Darstellung. Sie befindet sich im oberen Bereich der Kapelle und wurde somit unmittelbar am Übergang zu den herrschaftlichen Wohnräumen der Grafen angebracht. In feierlicher Haltung weist Gottvater auf seinen am Kreuz verstorbenen Sohn hin. Mit besonderer Hingabe bildete Kentner die Tücher ab, vor denen das Kruzifix präsentiert wird bzw. in die der Schoß Gottvaters gehüllt ist. Gottvater und Christus weisen eine deutlich unterschiedliche Körpergröße auf, was hier als bedeutungsperspektivische Darstellung zu betrachten ist, d.h. Personen werden gemäß ihrer religiösen oder gesellschaftlichen Bedeutung größer oder kleiner abgebildet. Die Bildfelder seitlich des Gnadenstuhls werden von vier Engeln ausgefüllt. Die beiden oberen „rahmen“ die Szene. Der Künstler stattete sie mit Brokattüchern aus, die im Hintergrund des Kreuzes herabfallen. Die beiden unteren Engel sind kniend und mit gedrehten Kerzen dargestellt. Am unteren Bildrand sind das Wappen der Grafen von Görz und eine Inschrift mit der Künstlersignatur und dem Entstehungsjahr zu sehen.

In theologischer Hinsicht gilt der Bildtypus des Gnadenstuhls mit der Darbietung des für die Erlösung der Menschheit geopferten Menschensohnes als Einladung zum Empfang des Sakramentes der Eucharistie. Gegen Ende des Mittelalters, in besonders auffallender Weise aber im Barock, werden die abstrakt-meditativen Abbildungen zugunsten von solchen aufgegeben, die Kernthemen des christlichen Glaubens gefühlsbetont und volksnahe wiedergeben.
Zwei besonders gute Beispiele werden dem in Italien ausgebildeten Barockbildhauer Johann Paterer zugeschrieben, die sich in Kapellen im Umkreis von Lienz befinden. Beide Plastiken sind um 1740 entstanden und wurden für Standorte an den Langhauswänden geschaffen, weshalb sie auf Barockkonsolen aufliegen. Die Bildschöpfungen gehen mehr auf das Thema der Dreifaltigkeit ein als die älteren von Schloss Bruck. Bei der einen Skulptur schwebt die Heiliggeisttaube über dem dreieckigen Heiligenschein Gottvaters, der den Leichnam Christi regelrecht zu sich nach oben zu ziehen scheint. Den Hintergrund der Komposition bildet der weit auseinander fallende Mantel Gottvaters. Im Unterschied dazu wird die andere Skulptur von einem zarten Strahlenkranz eingefasst. Die Strahlen gehen von kreisförmigen Wölkchen aus, die teilweise Engelsköpfe enthalten. Die Szene wird von zwei Putten flankiert, die symbolisch auf die Erde weisen. Diese „verspielte“, ganz im Sinne des Rokoko gestaltete Gandenstuhl-Darstellung steht in theologischer Hinsicht als Beispiel dafür, dass es nur möglich ist, direkt zum Thron Gottes zu gelangen, wenn man den Zugang über Christus sucht.

Dass bei dieser Sichtweise dem Heiligen Geist eine Vermittlerrolle zukommt, veranschaulicht ein Bildbeispiel aus dem 20. Jahrhundert in einer Kapelle in der Gemeinde Virgen. 1913 malte der Osttiroler Künstler Josef Weißkopf eine Gnadenstuhl-Darstellung auf die Chordecke, aus der die Komplexität des Themas der Trinität (Dreifaltigkeit) hervorgehen soll. Der Maler platzierte zwischen Gottvater und seinem ans Kreuz genagelten Sohn einen Heiligen Geist, um auf diese Weise die spirituelle Verbindung zwischen dem Menschensohn und dem göttlichen Vater zum Ausdruck zu bringen.

Tipp:
Ein weiteres Hauptwerk Nikolaus Kentners d.Ä., der 1454 entstandene Freskenzyklus „Die Werke der Barmherzigkeit“, kann in der Franziskanerkirche in Lienz besichtigt werden.