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Fresken in der Leonhardskapelle in Nauders – traditio legis oder Christus in der Mandorla? (um 1210)

Die Wandmalereien in der unscheinbaren Kapelle St. Leonhard südöstlich der Burg Naudersberg gehören zu den bedeutendsten romanischen Freskenfunden, die in Nordtirol je gemacht wurden. Ihre Wiederentdeckung geht auf das Jahr 1914 zurück, doch ihre Freilegung wurde erst in den Kriegsjahren 1943/1944 in Angriff genommen und 1951/1952 abgeschlossen. Wenngleich die Wandmalereien nur fragmentarisch erhalten sind, gehören sie zu den frühesten Fresken Nordtirols und genießen somit überregionale kunsthistorische Bedeutung. Weitere Wanddekorationen wurden an den Langhauswänden der Kapelle abgenommen. Diese Fresken stammen aus der Spätgotik des dritten Viertels des 15. Jahrhunderts.

Die meisten der romanischen Wandmalereien befinden sich in der Apsis des Kirchleins. Trotz größerer Fehlstellen kann die zentrale Darstellung als „Christus in der Mandorla“ gedeutet werden. Da im Umfeld dieser Abbildung aber nur zwei und nicht wie sonst immer üblich vier Evangelistensymbole ausgemacht werden können, begaben sich auf romanische Wandmalerei spezialisierte Kunsthistoriker auf die Suche des eigentlich hier umgesetzten Bildthemas und stellten fest, dass es sich um eine so genannte „Traditio legis“ (= Gesetzesübergabe) handeln muss.

Die kleine Kapelle St. Leonhard liegt am alten Weg über den Reschenpass in der Nähe der Burg Naudersberg. Der kleine romanische Saalbau mit eingezogener Rundapsis besitzt ein Sattel- bzw. Pultdach mit Dachreiter. Die erste urkundliche Erwähnung des Salkralbaues geht auf das Jahr 1391 zurück, archäologische Grabungen und in deren Rahmen durchgeführte dendrochronologische Untersuchungen ergaben jedoch, dass das Gebäude schon im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts entstanden ist.

Seit der Wiederentdeckung des romanischen Freskenschmucks vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs sind mehrere wissenschaftliche Arbeiten über ihre Ikonografie und Datierung erschienen, die zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen gelangten. Die jüngsten Forschungen gehen unter Berücksichtigung von Vergleichbeispielen in Südtirol und Graubünden davon aus, dass die Fresken um 1210 entstanden sind.

Die Apsiskalotte wird vom Wandbild „Christus in der Mandorla“ ausgefüllt. Bei diesem Bildtypus handelt es sich eigentlich um eine so genannte Majestas Domini („Herrlichkeit Gottes“) und damit um eine der beliebtesten mittelalterlichen Abbildungsarten für Christus. In größtmöglicher Feierlichkeit wird dabei Christus als derjenige wiedergegeben, der den Tod überwunden hat bzw. über die dunkle Macht (daher auch die leuchtenden Farben) triumphiert. Dabei wird er auf seinem Himmelsthron wiedergegeben, der von einer Mandorla – einer meistens mandelförmigen Umrahmung – eingefasst wird. Auf manchen, besonders farbenprächtigen Abbildungen, wird sein Thron von einem Regenbogen gebildet. Zum Bildschema gehört auch das so genannte Viergetier bzw. „Tetramorph“. Das sind die Symbole für die vier Evangelisten (Johannes/Adler, Lukas/Stier, Markus/Löwe und Matthäus/Mensch). Auf manchen der Majestas-Domini-Darstellungen hält Christus in seiner linken Hand die Bibel, während er seine rechte Hand im Segensgestus erhoben hat.

Doch zurück zu den Wandmalereien in Nauders, wo Christus nicht mit den vier Evangelistensymbolen festgehalten wurde, sondern lediglich flankiert von den Symbolen der Evangelisten Lukas und Markus und zwei menschlichen Gestalten. Zuerst nahm man in der Forschung an, dass es sich hierbei um eine ungewöhnliche Majestas-Domini-Abbildung handle und dass die beiden Figuren als Evangelisten Matthäus und Johannes zu interpretieren seien. Doch heute sind Kunsthistoriker geschlossen der Meinung, dass das Fresko als eine „Traditio legis“ („Gesetzesübergabe“) zu betrachten ist. Bei diesem Bildtypus übergibt Christus die Schlüssel an Petrus zu seiner Rechten und das Gesetz in Form einer Rolle an Paulus zu seiner Linken. Die Apostel wurden für den feierlichen Akt auf roten bzw. gelben Marmor-Podesten positioniert.

Als weitere, besonders hervorhebenswerte Abbildungen in der Leonhardskapelle sind die Apostelfiguren zu nennen: Vor farbigen Hintergründen wurden sie stehend und mit Büchern wiedergegeben. Die teils frontal, teils im Dreiviertelprofil dargestellten Köpfe der Apostel sind hier mit verschiedenfärbigen, perlenbesetzten Heiligenscheinen festgehalten. Als besonders ausdrucksstark ist auch die Haltung ihrer Hände zu bezeichnen.

Weitere, aus der Spätgotik stammende Fresken und Freskenfragmente befinden sich an der Triumphbogenwand oder aber sie wurden abgenommen und im Langhaus ausgestellt: Am Chorbogen ist die Maria einer Verkündigungsszene und eine „Heimsuchung Mariens“ zu sehen. Unter den abgenommen Wandmalereien befindet sich eine für einen Vergleich der Darstellungsweisen interessante „Majestas Domini“, ein Christuskopf und eine segnende Hand.