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Heiliger Wandel – die Heilige Familie auf der Wanderschaft  (ab 1770)

Im Tiroler Unterland befinden sich in mehreren Kirchen und Kapellen Darstellungen des „Heiligen Wandels“. Dabei handelt es sich um ein ikonographisches Thema, das schon im Mittelalter aufgrund der Möglichkeit, es sowohl volkstümlich als auch theologisch untermauert zu interpretieren, sehr populär war. Schließlich entwickelte sich der Heilige Wandel zu einem der beliebtesten Bildmotive der Gegenreformation, weil das Thema in Form von Kupferstichen europaweite Verbreitung fand und häufig kopiert wurde.

Der Leitgedanke des Heiligen Wandels ist die Darstellung einer Szene aus der Kindheit Jesu, wobei die Abbildung eines Jesuskindes, das von seinen Eltern Maria und Josef an der Hand geführt wird, manchmal auch als „Rückkehr aus Ägypten“, „Rückkehr aus dem Tempel“ oder „Gang der Heiligen Familie übers Gebirge“ genannt wird. Alle diese Bezeichnungen gehen auf Überlieferungen in den so genannten apokryphen Schriften zurück, die man in der Vergangenheit oft dazu heranzog, um Motive für Darstellungen aus der Heilsgeschichte abzuleiten.

Der Heilige Wandel wurde im Tiroler Raum in Form von Bildern oder Plastiken bzw. einer Kombination aus Malerei und Plastik oft wiedergegeben. Um 1770 entstand beispielsweise für eine Kirche im Tiroler Unterinntal ein Seitenaltar, der vom Altarbauer und Bildschnitzer Franz Stitz (1717-1787) in Zusammenarbeit mit dem bekannten Unterländer Bildhauer Franz Xaver Nissl (1731-1804) geschaffen wurde. Bei der Umsetzung des heiligen Wandels als Thema für den Seitenaltar orientierten sich beide Künstler an dem zu den Apokryphen zählenden Pseudo-Evangelium des Matthäus. Darin heißt es, dass sich auf Wunsch des Jesuskindes eine Palme der Gottesmutter zugeneigt habe, um diese mit ihren Früchten zu nähren. Den Hintergrund der Figurengruppe bildet ein Altarblatt, auf dem aus diesem Grund unmittelbar hinter Maria eine Palme zu sehen ist.

Die Skulpturen stehen auf dem Sockel des Altares. Maria ist dem Jesusknaben in der Mitte liebevoll zugewandt, wohingegen der vergeistigte Blick Josefs zum Himmel gerichtet ist. Das Jesuskind ist im Redegestus dargestellt und es scheint, es predige zur versammelten Kirchengemeinde. Die Plastiken sind farbig gefasst, die Mäntel vergoldet, die Kleider versilbert. Zur Reduktion des Gewichts wurden die Figuren an ihrer Rückseite ausgehöhlt.

Beim Anblick des Seitenaltares bemerkt man auf Anhieb, warum das Bildmotiv Heiliger Wandel genannt wird: Der Wandel entspricht in seinem Wortsinn dem heutigen Begriff für „wandern“, wobei es für eine Region wie Tirol auf der Hand liegt, dass die Heilige Familie hier über die Berge wandert – was sich ebenfalls auf dem Altarbild mit seiner gebirgigen Landschaft manifestiert.

In eine andere Form des Heiligen Wandels wurden auch Gottvater und der Heilige Geist integriert. Bei diesen, in ihrem Charakter weitaus statischer gestalteten Figurengruppen geht es vorrangig um eine theologische Auslegung und Darstellung der Trinität (Dreifaltigkeit): Einerseits dienen sie dazu, die Heilige Familie (Maria-Josef-Jesus) als „Kernfamilie“ der Menschheit schlechthin festzuhalten, andererseits soll der Göttlichkeit des Jesuskindes (Gottvater-Heiliger Geist-Jesuskind) Ausdruck verliehen werden.

In einer kleinen Kirche im Unterinntal befindet sich ein – eventuell von einer Bruderschaft gestifteter – Heiliger Wandel mit Gottvater und Heiligem Geist. Die Plastik entstand um 1788. Auf einer barock geschwungenen Konsole mit einer von einer Rocaille eingerahmten Kartusche wurde die Skulpturengruppe mit Maria, Jesuskind und Josef platziert. Darüber erheben sich der Heilige Geist und Gottvater mit der Weltkugel. Den Hintergrund der Komposition bildet eine einfarbige Platte, deren oberer Abschluss in Form eines geschwungenen Baldachins ausgebildet ist.

Hier wurde der Heilige Wandel als Archetyp (Urbild) für die christliche Familie wiedergegeben. Als Andachtsbild eignet sich die Heilige Familie nicht nur als Fürsprecher vor Gott, sondern sie steht auch für einen vorbildlichen Lebenswandel innerhalb der Familie allgemein bzw. einer Gemeinschaft (z.B. der Ehe oder einer Bruderschaft). Aus diesem Grund weist die Plastik an ihrer Konsole die Kartusche mit der Inschrift „Bund = Spiegel/ der/ Ehe = Leuthe“ auf, die als Hinweis auf die Stiftung einer Bruderschaft gedeutet werden kann. Denn in der Vergangenheit fanden sich viele Bruderschaften im Sinne eines sittlichen Lebens im Zeichen des Heiligen Wandels zusammen bzw. benannten sich sogar nach diesem Bildthema.