Das Gebäude des heutigen Gasthauses Stern in Oetz stammt in seinem Kern aus der Spätgotik. Zuerst gehörte es zum Kloster Frauenchiemsee in Bayern und diente als Verwaltungsgebäude, in dem auch Gericht gehalten wurde. Spätestens 1573 ging das Haus auf den Gerichtsanwalt Christian Rott über, der es umbauen und die Außenwände erstmals mit Malereien verzieren ließ. Ab 1611 dürfte das Gebäude schon als Gasthof in Betrieb gewesen sein. 1615 wurde es im Auftrag eines Nachfahren Christian Rotts, Christoph Rott, neuerlich an seinen Außenfronten bemalt.
Die ersten Fassadengestaltungen wurden unter dem Einfluss der italienischen Renaissance in Städten (vgl. die Fassadengestaltungen der Bürgerhäuser am Domplatz von Trient) bzw. an herrschaftlichen Häusern oder sakralen Einrichtungen vorgenommen. Zu den gängigen Motiven gehörten
Scheinarchitekturen und Szenen aus der Antike, die vielfach in als besonders vornehm geltender monochromer (= einfarbiger) Malerei grau in grau gehalten waren (vgl. Schloss Ambras bei Innsbruck, Hochschloss, Innenhof). Nicht zuletzt unter dem Einfluss der
Gegenreformation entfernten sich die Fassadenmalereien im ländlichen Raum Tirols im Verlauf des 16. Jahrhunderts inhaltlich von den
antikisierenden Themen und es verlagerte sich die Auswahl zunehmend auf Renaissance-Ornamente und religiöse Themen. Besonders beliebt war die Darstellung von Schutzpatronen, die die Bewohner eines Hauses vor Krankheit, Feuer, Wasser und Hunger bewahren sollten.
Bei den Wandmalereien am Gasthaus Stern in Oetz ist eine höchst groteske Zusammenstellung von sakralen und profanen bis hin zu exotisch anmutenden Abbildungen zu sehen: An der Hauptfassade wurden im
Giebelfeld zwei Szenen aus dem Alten Testament - Kain erschlägt Abel (Gen 4,1) bzw. David und Goliath (1 Sam 17,4 u. 17,41) dargestellt. Im Bereich des ersten Obergeschosses befinden sich links des Mittelerkers der Sündenfall und ein hl. Christophorus, der als Patron der Wanderer häufig an Außenfassaden dargestellt ist. Der Erker selbst ist mit kompliziert verschlungenem
Bandelwerk,
Grotesken,
Säulen tragenden
Atlanten, einem Mann mit Schlangenkörper, einem Kind, Fabelwesen, einem Ratsherrn und einem Mann mit Weinglas besonders reich geschmückt. Im Bereich rechts daneben wurden der sagenhaft starke biblische Samson und über ihm ein Musikantenpaar festgehalten. In den Zwischenräumen und in der Zone darunter sind mehrere Wappen wiedergegeben, u.a. mit dem österreichischen
Bindenschild und dem Tiroler Adler. Über dem spitzbogig geformten Eingangsportal ist eine Frau mit Kreuz dargestellt.
Weitere Malereien befinden sich auf der Seitenfassade des Gasthofes, von oben nach unten handelt es sich um den (hier fälschlich als König titulierten) alttestamentarischen Heerführer Josua, den hl. Georg mit dem Drachen, einen Knecht und eine Magd, einen Wandersmann, der auf ein Bauernmädchen trifft, einen Landsknecht und einen Pferdezug mit Waren sowie weitere Wappen.
Die meisten der erhaltenen szenischen und ornamentalen Dekorationen stammen aus der Zeit um 1615, also der zweiten Phase der Außengestaltung des Gasthauses Stern. Der Name des Künstlers ist nicht überliefert.
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