Viele Votivtafeln in Tirol stehen mit der Geschichte eines Gnadenortes auf besondere Weise in Verbindung. Aus dem Lechtal ist ein dreiteiliges Votivbild bekannt, dessen Vorder- und Rückseiten bemalt und beschriftet sind. Dabei handelt es sich um eine Votivgabe, die nicht in einem Zug entstanden ist, sondern Jahrzehnte hindurch erweitert und vervollständigt wurde.
Die Tafeln beschreiben die Bau- und Umbaugeschichte einer Kapelle, sie berichten aber auch von so ungewöhnlichen Themen wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, die Besetzung des Lechtals durch die napoleonischen Truppen und die Frömmigkeit der hier lebenden Menschen.
Auf der ersten Tafel ist eine Prozession dargestellt, die von einer hölzernen Kapelle in eine aus Stein gebaute führt. Alle Personen sind in die feierliche Lechtaler Tracht gekleidet. Am unteren Bildrand ist u.a. zu lesen:
"N. N. vulgo Gangeler erbaute am Zaune eine Kapelle v. Holz. Später wurde diese v. Stein erbaut u. das Christusbild durch H(re) Pf. Melson in Begleitung des Volkes hierher gebracht u. am 31. Mail 1766 die erste h. Messe gelesen ..."
Ein weiterer Text auf der Rückseite des Bildes gibt darüber Aufschluss, warum das Kruzifix in das Zentrum des Bildes gerückt wurde. Einer Legende nach soll das Kruzifix von einem Pilger aus dem Oberinntal aus der Gegend um Silz hierher gebracht worden sein. Seine Übertragung von einer Kapelle in eine neu errichtete ist das Thema des obersten Bildes, doch die Geschichte, weshalb es sich bei dieser Kapelle um einen besonderen Gnadenort handelt, erschließt sich erst aus den folgenden zwei Tafeln.
Am mittleren Bild ist die zweite Bauphase der "neuen" Kapelle abgebildet: Mit den Jahren war ihrem Eingang ein hölzerner Bau vorgesetzt worden und schräg gegenüber der Kapelle war ein Pfarrhof entstanden. Personen nähern sich der Kapelle. Alles weist daraufhin, dass sich das Kirchlein zu einem prosperierenden Wallfahrtsort entwickelt hat. Doch die vermeintliche Idylle war bereits empfindlich gestört, denn auf der Rückseite dieser Mitteltafel wurde ein völlig konträres Bild des Dorfes im Jahr 1800 festgehalten:
Links befinden sich merkwürdige schwarze Flecken, die erst bei genauer Betrachtung als eine Art Lageplan zu erkennen sind. Der Maler der Tafel wollte damit offenbar den Weg aufzeichnen, den die napoleonischen Soldaten im Jahr 1800 durch das Dorf genommen haben. Ein großer französischer Truppenverband wurde auf der rechten Seite des Bildes wiedergegeben. In der Mitte des Bildes ist
topografisch relativ genau das Dorf in seiner prachtvollen landschaftlichen Situation eingefangen. Ein langer Text klärt über die Chronik der Kapelle seit der
Säkularisation (ab 1782) auf:
"Unter der Regierung des Kaiser Joseph II./ soll dieser Ölberg versteigert u. abgebrochen werden, wurde v. 4 Mäzem [...] (Ulses, Mark, Schnöller u. Lang) gekauft, u. mit abreissen verzögert, so das nach dem Tode/ des K. Joseph II. auf abbrechen des Ölbergs nicht mehr bedacht wurde, u. so blieb/ diese Kapelle stehen wie sie Ano 1766 erbaut wurde./
In den Kriegsjahre mit Napoleon wurde viele Gelübde auf den Ölberg gemacht u. zur Gedächtnis/ dessen, diese Tafel. Auch kamen am 22. Juli 1800 die feindliche französische Truppen nach [...],/ u. besetzte das linke Lechufer circa 6 (?) Monate lang, das Comando der Franzosen v. Lechtal war hier,/ die Östreichische Truppen hatte das rechte Lechufer besetzt..."
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Kapelle von vier wohltätigen Männern quasi dadurch gerettet wurde, dass sie dem verordneten Abbruch nicht Folge leisteten. Ihrem Widerstand gegen die Staatsgewalt Kaiser Josephs II. ist es zu verdanken, dass das Kirchlein auch während der Napoleonischen Kriege der Bevölkerung als Zufluchtsort zur Verfügung stand. Doch auch in den folgenden Zeiten des Friedens fand die Kapelle immer wieder Gönner. Das dritte und unterste in der Reihe der Votivbilder zeigt das Kirchlein in seiner endgültigen Form. Im Jahr 1829 war es noch einmal vergrößert und mit einer Sakristei und einer zweiten Glocke ausgestattet worden.
[nach oben]