Der harmonisch gegliederte Gebäudekomplex, der sich heute im südlichen Teil des Dorfes befindet, war einst als Symbol Augsburger Besitzungen im Tiroler Inntal weithin sichtbar. Er umfasst drei Bauwerke: eine einfache Saalkirche mit Rundapsis, einen wuchtigen Turm und ein Wohngebäude. Die Ursprünge der Kirche gehen vermutlich in das 8. Jahrhundert zurück, weshalb sie zu den ältesten erhaltenen Kirchenbauten Österreichs gehört.
Im Mittelalter hatte das Hochstift Augsburg mehrere Besitzungen in Tirol, darunter neben dem 827 erstmals in einer Urkunde namentlich erwähnten "Turane" (Thaur) auch Absam. Die beiden Nachbarorte waren in dieser Zeit sicherlich noch reine Bauerndörfer, da der intensive Bergbau im nahe gelegenen Halltal erst im Hochmittelalter einsetzte. Absam wurde von einem Maierhof an der Stelle des heutigen Ansitzes Krippach verwaltet und besaß eine eigene Kirche. Da das Hochstift Augsburg aber auch Besitz in Thaur hatte, wurde für die dortigen, ebenfalls dem Hochstift Augsburg unterstehenden Bauern eine eigene Kirche zu Ehren des hl. Augsburger Bischofs Ulrich errichtet, die eine Filiale der Absamer Kirche war.
Heute liegt der Ulrichshof inmitten der laufend angewachsenen Siedlung Thaur. Seine früheste Erwähnung geht auf das 14. Jahrhundert zurück, archäologische Untersuchungen ergaben jedoch, dass der östliche Bereich der Kirche und die
Apsis zu den ältesten Teilen der Anlage zählen und im späten 8. Jahrhundert errichtet wurden. Damals umfasste die Gebäudegruppe einen
Maierhof, die Kirche und einen Turm. Bei dem Sakralraum handelte es sich um eine kleine frei stehende Kirche mit rechteckigem Grundriss (ca. 9 mal 6 Meter) und einer
Rundapsis mit angehobenem Altarraum. Das
Langhaus und der Altarraum wurden über
Rundbogenfester belichtet. An den Fenstern sind sogar 1200 Jahre alte Fensterstöcke erhalten geblieben. Bei den Grabungen konnte aber auch der originale Boden freigelegt werden. Dieser lag ungefähr einen Meter unter dem heutigen Niveau.
In früheren Zeiten verband sich mit dem Hof und seiner Kirche auch der Name der hl. Afra. Obwohl es sich bei der hl. Afra genauso wie beim hl. Ulrich um augsburgische Heilige handelte, legen neuere Untersuchungen nahe, dass es sich bei der Bezeichnung "Afrahof" eher um eine neuere "Erfindung" handelt. Das klärt aber noch nicht das ursprüngliche
Patrozinium des Kirchleins, denn der hl. Ulrich verstarb nachweislich erst lange nach dessen Einweihung.
Im Hochmittelalter wurde die Kirche nach Westen wesentlich vergrößert, mit einer
Empore versehen und mit dem angrenzenden quadratischen Turm verbunden. In geringer Entfernung wurde zu dieser Zeit auch ein anfänglich noch frei stehendes, zweistöckiges Steingebäude errichtet: der Ulrichshof (ca. 5 mal 8 Meter).
Mit diesen Erweiterungen stehen wohl auch funktionelle Veränderungen in Zusammenhang. Da sich der Hof und die Kirche baulich und besitzrechtlich von den übrigen augsburgischen Besitzungen in Tirol unterscheiden, ist davon auszugehen, dass der Ulrichshof in Thaur von einer Mönchsgemeinschaft bewohnt und bewirtschaftet wurde. Aufgrund seines repräsentativen Charakters befand sich hier eventuell ein
Priorat bzw. ein Herrenhof des Hochstiftes Augsburg. Dieser Schluss liegt auch aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Salzgewinnung in der Region nahe. In den folgenden Jahren und Jahrhunderten wurden Hof und Kirche noch einige Male baulich verändert, auch die Besitzer wechselten mehrmals. Aus diesem Grund haben sich in der Kirche Kunstwerke aus mehreren Stilepochen erhalten. Die kulturgeschichtliche Bedeutung des Sakralraums dokumentieren u.a. Wandmalereien aus der Romanik und Gotik, eine Balkendecke aus dem 13. Jahrhundert, vier Altäre (darunter ein Renaissancealtar), mehrere Bilder und eine kleine Orgel.
In den
Laibungen der romanischen Fenster des 13. Jahrhunderts ist hauptsächlich ornamentaler
Freskenschmuck erhalten. Beachtenswert sind die kreisförmigen Muster mit Fabeltieren und die Fratze mit Schlingenornament unter einem
Hakenfries an der Südwand sowie die Ranken mit Weintrauben in der
Apsis. Weiterer Freskenschmuck stammt aus dem 15. Jahrhundert, darunter das trotz größerer Fehlstellen fast zur Gänze nachvollziehbare Bildprogramm der Apsis mit einem Christus in der
Mandorla, flankiert von einer Madonna und den 12 Aposteln in einer von Bäumen besetzten Landschaft. Darunter wurde eine
Schutzmantelmadonna mit den beiden Heiligen Ulrich und Afra abgebildet. Diese Fresken werden mit dem aus Schwaben zugewanderten Maler Jobst Weninger, der 1466/1488 in Hall in Tirol und 1470 als Hofmaler des Tiroler Landesfürsten Erzherzog Sigmunds des Münzreichen nachweisbar ist, in Verbindung gebracht. Er dürfte auch der Schöpfer des Weltgerichts-Freskos in der Haller Magdalenenkapelle (1466) sowie der Fresken im Turm der Burg Freundsberg in Schwaz (1472/1473) sein.
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