Aus einer einfachen und zweckmäßigen Alltags- und Arbeitskleidung, die seit dem Mittelalter im Großen und Ganzen von allen Bauern in Mitteleuropa getragen wurde, entwickelten sich mit steigendem Standesbewusstsein und Wohlstand landschaftlich unterschiedliche Trachten. Die reichste Entfaltung erlebte die Tiroler Tracht im 18. Jahrhundert. Ein intensives religiöses Leben mit vielen Bräuchen und gesellschaftlichen Ereignissen bildete einen wichtigen Hintergrund für die Entstehung der Trachten. Für diese bunten bäuerlichen Festtagskleider wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Begriff der Volkstracht gebräuchlich. Heute noch ist die Einteilung der Trachten in verschiedene Trachtenlandschaften üblich.
Die geografische Einteilung der verschiedenen Trachten belegen Grafikserien, die von ausländischen Verlegern kopiert wurden und weite Verbreitung gefunden haben. Johann Nussbiegel (1750-1829), ein Nürnberger Zeichner und Kupferstecher, schuf 1823 eine dieser bekannten Serien von Trachtenbildern, auf denen die zeitgenössische Männer- und Frauentracht aus den verschiedenen Regionen und Talschaften Tirols dargestellt sind.
Im 19. Jahrhundert waren es zunächst gebildete städtisch-bürgerliche Kreise, die Interesse an den lokalen und regionalen Kleidungsgewohnheiten entwickelten. Für sie waren die frühen grafischen Trachtenserien als Reiseandenken und häuslicher Schmuck gedacht. Bei allen diesen Darstellungen steht stilistisch die Sehnsucht nach einer ländlich-bäuerlichen Idylle im Vordergrund. Indem die Tracht als Bestandteil der Natur selbst im Bild platziert ist, sollte das Ideal einer naturnahen Kleidung transportiert werden. Nicht zu übersehen ist auch die sehr detailgenaue Wiedergabe der einzelnen Kleidungsstücke.
Dieses romantische Bild einer bäuerlichen Tracht, die sich in den entlegenen Gebirgstälern etablieren konnte, vermittelt auch die Reiseliteratur ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit touristischem Interesse für die Alpen und ihre Bewohner registriert sie entsprechend einseitig lediglich das als bemerkenswert, was den Anstrich des Malerischen, Exotischen und Altertümlichen hat. Die Begeisterung gilt den alpinen Tälern und deren Bewohner. Das erste, sehnsüchtig erwartete Zusammentreffen mit der in Tracht gekleideten Bevölkerung ist für die Reiseschriftsteller oft eines der zentralen Erlebnisse in ihren Schilderungen.
Ludwig Steub, ein Münchner Rechtsanwalt und erfolgreicher Reiseschriftsteller, widmete der Trachten-Kleidung seine große Aufmerksamkeit, als er für sein 1846 erschienenes Werk "Drei Sommer in Tirol" das Land bereiste. In abgelegenen Tälern fand er, wonach er suchte, und hielt diese Eindrücke in durchaus drastischen Schilderungen fest. Über die Frauentracht des Ötztals schrieb er:
"Die Weiber, und zumal die alten, haben manches Auffallende. Die spitze Haube, [...] ist dasselbe was in Vorarlberg Kappe heißt [...]; die Taille ist lang und durch ein steifes Mieder gehalten, aus welchem kurze, bauschige Aermel hervorstechen, die den obern Arm bedecken, während der untere in schwarzen Handstutzen steckt. Der Rock ist kurz aber mächtig, zumal auf der Rückseite weit über das Mieder vorspringend. Die Waden endlich, was für das Wahrzeichen der Thalweiber gilt, stecken vom Knie bis an die Knöchel in den Höslen, worunter man eine Art von Strümpfen versteht, die aus langen Wolllappen hergestellt werden. Diese langen Binden werden nämlich so lange sie sind und je länger desto besser um die Wade gewickelt und machen so bei den Stutzerinnen, unter die jedoch nur mehr alte Weiber zu zählen sind, einen dicken, geschwollenen Kreis um das Glied - ungefähr von dem Umfange eines mäßigen Butternapfs."
Während Steub der Männertracht des Ötztals weniger Beachtung schenkt, schildert Ludwig von Hörmann in seinen "Wanderungen in Tirol" (Innsbruck, 1897) die Festtagskleidung der Männer sehr detailgenau:
"Sie ist sehr kleidsam und malerisch, besonders die der Männer. Die dunkeln Lodenjoppen, an der Brustseite und an den Vorderärmeln mit bunter Seide ausgenäht, die breiten rothen Hosenträger auf dem blühweißen Hemd, dazu die kurzen bockledernen Hosen und braunen Strümpfe heben die kräftigen Gestalten auf das Vortheilhafteste hervor. Auf dem Kopfe sitzt der breitkrämpige mit grünen Seidenbändern gezierte gelbe Filzhut, um die Mitte schlingt sich der mit Pfauenfedern ausgenähte Bauchgurt."
[nach oben]